Lässt sich mit Licht der Alltag Demenzkranker erleichtern? Am St. Augustinus Memory-Zentrum in Neuss wollen Wissenschaftler das mithilfe von OSRAM-Technologie herausfinden.

Andreas Pickelein hält das Luxmeter in den klaren Mittagshimmel über Neuss. Es zeigt über 100.000 Lux. Die natürliche Lichtintensität trägt seit Menschengedenken dazu bei, unseren Schlaf-Wach-Rhythmus im Takt zu halten. Heutzutage verbringen wir jedoch die meiste Zeit in Räumen, die mit nur etwa 500 Lux erhellt werden. Das kann Auswirkungen auf den menschlichen Tag-Nacht-Rhythmus haben, wie Pickelein, Experte für Human Centric Lighting bei OSRAM, weiß. Er ist zu Besuch im Memory-Zentrum der St. Augustinus Gruppe, um genau diese Folgen für Menschen mit Demenz zu besprechen.

Der Mann, mit dem er sich trifft, ist Professor Dr. Ulrich Sprick, Chefarzt im Memory-Zentrum, einem hochmodernen Wohn- und Betreuungszentrum für Menschen mit Demenz. Alles im Gebäude ist darauf ausgerichtet, die Bewohner in ihrem Alltag zu unterstützen und ihnen das Leben mit der Krankheit leichter zu machen. „Licht spielt dabei eine entscheidende Rolle“, sagt der Professor, der die Wirkung von Licht auf Demenzkranke wissenschaftlich untersucht. „Das Interesse an der Lichtforschung ist sowohl in Europa als auch in Amerika und Asien groß. Wissenschaftliche Studien zu den Effekten von Licht auf Menschen mit Demenz sind bisher jedoch rar.“



OSRAM Experte Andreas Pickelein (rechts) im Gespräch mit Prof. Ulrich Sprick, Chefarzt im St. Augustinus Memory-Zentrum.


Tageslicht in der Tagesklinik

Für seine Pilotstudie ließ Sprick im Memory-Zentrum zwei spezielle Beleuchtungssysteme von OSRAM installieren. Sie folgen dem Ansatz von „Human Centric Lighting“, in dessen Zentrum die biologische Wirkung von Licht auf den Menschen steht. Ein Patientenzimmer wurde dafür mit speziellen Leuchten und digitaler Lichtsteuerung von OSRAM ausgestattet. Die zweite Installation, eine zehn Quadratmeter große Lichtdecke, ist im Gemeinschaftsraum der Tagesklinik installiert, wo die Bewohner den Großteil ihres Tages verbringen.

„Beide Systeme bilden den dynamischen Tageslichtverlauf in Bezug auf Lichtfarbe und Beleuchtungsstärke nach“, sagt Sprick. „Denn das beste Licht für den Menschen ist Tageslicht.“ Eine dreistündige Lichtdosis an der frischen Luft zur Mittagszeit – egal ob bei Sonnenschein oder Bewölkung – wäre ideal für einen intakten Tag-Nacht-Rhythmus. 

Im Alltag des Zentrums ist ein solcher dreistündiger Aufenthalt an der frischen Luft mit allen Bewohnern allerdings nicht realisierbar. „Wir holen daher das Tageslicht künstlich ins Gebäude“, so der Professor. Die automatischen Lichtverläufe – beginnend in den frühen Morgenstunden mit warmweißem Lichtanteil, einer hellen bläulichweißen Lichtmenge zu Mittag und einer Rückkehr zum abendlichen Warmweiß – entwickelten Sprick und Pickelein gemeinsam. Um die Lichtvariation an die jahreszeitlichen Veränderungen anzupassen, wurden unter anderem ein „Sommertag“ und ein „Wintertag“ programmiert. Auch die sich täglich ändernden Zeiten des Sonnenauf- und -untergangs wurden bei der Programmierung berücksichtigt.

Welche Wirkung die unterschiedliche Beleuchtung auf die Bewohner hat, wurde über Monate wissenschaftlich untersucht. Das Team von Professor Sprick verglich dazu unter anderem die Lichtpräferenz von Demenzpatienten mit der einer gesunden Vergleichsgruppe. Ein Ergebnis: Patienten mit Demenz bevorzugen kaltweißes Licht mit etwa 6.200 Kelvin – und damit im Schnitt mehr als 400 Kelvin kälter als bei der Vergleichsgruppe. Und sie wünschen sich zudem ein deutlich höheres Helligkeitsniveau als in gängigen Normen empfohlen. Insgesamt zeigten die Beobachtungen über den Zeitraum eine hohe Zufriedenheit und Akzeptanz der Bewohner wie auch des Pflegepersonals.


Ein Plus an Lebensqualität

Für Sprick sind diese ersten Erkenntnisse Anlass, den Einfluss von Licht auf Demenzkranke näher zu untersuchen. Im nächsten Schritt möchte er messen, wie genau das künstliche Licht den Tag-Nacht-Rhythmus und im Speziellen die Schlafqualität der Bewohner beeinflusst. Dafür müsste die Technologie in größerem Maßstab installiert werden. „Je älter wir werden, desto kürzer und mit desto häufigeren Unterbrechungen schlafen wir“, so Sprick. „Bewohner könnten durch die richtige Lichtdosis zur richtigen Zeit langsam wieder auf einen normalen Schlaf-Wach-Rhythmus zurückgebracht werden.“ Die Folge wäre ein Plus an Lebensqualität durch mehr Ruhe und Struktur im Alltag. Wünschenswerte Nebeneffekte: Der Einsatz von Medikamenten wie Schlaftabletten könnte reduziert werden, und damit auch die Kosten. Das Personal bekäme dadurch mehr Freiraum für die Betreuung der Bewohner.

Auch für OSRAM-Experte Pickelein birgt die Forschung noch viel Potenzial: „Die Untersuchung liefert uns weitere Erkenntnisse für künftige Projekte.“ Denkbar seien in Zukunft auch individuelle Lichteinstellungen für Einzelpersonen. „Jeder Mensch reagiert unterschiedlich auf Licht. Durch Forschungen wie in Neuss bauen wir unser Wissen auf diesem Gebiet weiter aus. Unser Ziel: ‚persönliches‘ Licht, das den Einzelnen bestmöglich in seinem Alltag unterstützt.“