Lichtfelder aus winzigen LED eröffnen gänzlich neue Möglichkeiten zur Erforschung der Mikrowelt – und machen sie allgemein verfügbar.

Professor Andreas Waag ist der einzige Physiker im Raum. Er ist Teil einer Gruppe von Wissenschaftlern unterschiedlichster Fachrichtungen des LENA (Laboratory for Emerging Nanometrology) in Braunschweig. Alle blicken gespannt auf einen Bildschirm. Zu sehen sind Pollen, um den Faktor 10.000 vergrößert und bis an die Ränder scharf abgebildet. Auf dem Tisch befindet sich ein elf Zentimeter hoher, knallroter Kubus. In dessen Mitte liegt eine Petrischale mit Pollen aus dem benachbarten Waldstück. In der Ebene darüber befindet sich ein sogenanntes µLED-Array, im Feld strukturiert angeordnete, winzig kleine LED. In der untersten Ebene ist ein Sensor angebracht. Eine erste Idee davon, was die steuerbaren Lichtfelder aus µLED leisten können, nimmt so Gestalt an: Es handelt sich um den Prototyp eines robusten und kostengünstigen Mikroskops jenseits optischer Auflösungsgrenzen.

Scharf gestellt

Mikroskope haben uns einen gigantischen Zuwachs an Wissen über uns und unsere Umwelt beschert. Was, wenn diese Technik überall und jederzeit im Alltag zur Verfügung stünde? Dann ließe sich etwa beim ersten Krankheitsanflug feststellen, ob ein Virus oder ein Bakterium dahintersteckt. Auch Infektionskrankheiten käme man leichter auf die Spur, wenn ein Mikroskop direkt im Inkubator das Zellwachstum beobachten würde. Die Reinheit der Luft ließe sich stets direkt vor Ort messen – und nicht an einer weit entfernten Messstation.

 

µ-Weltwissen für alle

Das Team um Professor Waag denkt nah an gesellschaftlichen Herausforderungen und in konkreten Anwendungen. Er selbst spricht mit Begeisterung: „Wir wissen viel zu wenig über unsere unmittelbare Umwelt. Mikrosensorik ist heute noch zu teuer und nicht allgemein verfügbar. Sie ist überwiegend Laboren und Universitäten vorbehalten. Wir arbeiten hier an Lösungen, die der Allgemeinheit den genauen Blick auf uns und unsere Umwelt zugänglich  machen werden.“ Ein Grund, weshalb dies am LENA realisiert werden kann, ist sicher die interdisziplinäre Sicht auf die Herausforderungen. Expertise aus jahre- langer gemeinsamer Halbleiterforschung mit externen Partnern, gepaart mit Erfahrungen unterschiedlicher Fachrichtungen der Technischen Universität fließen in die Produktentwicklung ein. So ist das Mikroskop eine Kombination aus Photonik, Elektronik, Maschinenbau und Softwareentwicklung, dessen Anforderungsprofil von Biologen und Umweltwissenschaftlern definiert wird.

Dieser Prototyp eines revolutionären Mikroskops, das Wissen über uns und unsere Umwelt in einfacher Weise einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen soll, basiert im Wesentlichen auf zwei Prinzipien: der Überwindung der optischen Auflösungsgrenze und der Miniaturisierung der zugrunde liegenden Technik.

 


Die Überwindung der Beugungsgrenze

Ein herkömmliches Mikroskop, das mit sichtbarem Licht arbeitet, hat eine Auflösungsgrenze von ungefähr 200 Nanometern. Das entspricht in etwa einem 250stel eines menschlichen Haares. Das Prinzip, die Auflösung von der Wellenlänge des Lichts zu entkoppeln und jenseits optischer Grenzen die Nanowelt zu erkunden, wurde mittels des Superauflösungs­mikroskops STED bereits realisiert und 2014 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Seither ist das grenzenlose Eintauchen in die Mikrowelt zwar grundsätzlich möglich, aber mit immensen Herausforderungen verbunden. Alle Versuche, das Prinzip zu verbessern, lösten die wesentlichen Probleme nicht: hoher Platzbedarf, Temperatur- abhängigkeit, hohe Herstellungskosten. Die Technik musste neu gedacht werden.

Dabei war es aber nicht notwendig, das Rad neu zu erfinden – gefragt war ein Querdenken. Die Galliumnitrid-LED-Technologie, die vor Jahren die Allgemeinbeleuchtung revolutionierte, ebnete auch hier den Weg: Vorausgesetzt, man miniaturisiert die LED bis in den Mikrometerbereich, bringt eine größere Anzahl davon in einen Verbund (Array) und vermag diese darin individuell anzusteuern.

Diese strukturierte, selektive Beleuchtung von Objekten ermöglicht deren 3D-Analyse. Die neue Grenze für die Auflösung von Objekten ist dann nur noch der Abstand der LED untereinander, nicht mehr die Wellenlänge des Lichts infolge der Beugungsgrenze. Durch die zeitversetzte Punkt-für-Punkt-Beleuchtung aus unterschiedlichen Winkeln wird das Objekt genau berechnet und es entsteht ein präzises dreidimensionales Schattenbild von beispielsweise Pollen oder Partikeln in der Luft.

Ein wesentlicher Vorteil dieser Mikroskopie- Methode ist neben der geringen Größe und Robustheit ihre Temperaturbeständigkeit – es wäre die erste linsenfreie Lösung, die auch direkt im Labor-Inkubator eingesetzt werden kann. Bilder von lebenden Zellen können in Echtzeit, unter natürlichen Bedingungen und mit vielen unterschiedlichen Wellenlängen aufgenommen werden. So sind deutlich mehr Informationen als mit herkömmlichen Mikroskopen zu bekommen.


Berührungslos tasten

Die dafür notwendige LED-Chiptechnologie ist bereits vorhanden – nicht zuletzt dank zwölfjähriger Forschung im Verbund mit einem Regensburger Expertenteam von OSRAM Opto Semiconductors. Waag und sein Team arbeiten jetzt daran, die µLED-Arrays, hier als „Structured Micro-Illumination Light Engine“, kurz SMILE bezeichnet, noch weiter zu miniaturisieren. Mittelfristig sollen diese zudem die gesamte Bandbreite der Wellenlängen abdecken. „Die Kontrolle von Licht auf der Mikroskala führt zu neuartigen mobilen, energieeffizienten, berührungslosen Sensoren. Im Idealfall umfassen solche SMILE-µLED-Arrays anpassbare Wellenlängen von Infrarot bis Ultraviolett. Damit können sie verschiedene Eigenschaften unserer Umwelt und unseres Körpers exakt ‚ertasten‘ und so im wahrsten Sinne beleuchten“, gibt Waag, auch Sprecher des Exzellenzclusters Quantum Frontiers, einen Ausblick auf zukünftige Möglichkeiten.

An der markttauglichen Entwicklung der neuen Technologie arbeitet das im LENA ansässige, ausgegründete Start-up QubeDot. Hier glaubt man, dass „das Mikroskop für jedermann“ vor allem das Gesundheitswesen und die Umweltwissenschaften verändern wird. Aussehen könnte es wie ein Kugelschreiber, in dem anstelle der Mine ein Sekret zur Analyse auf Viren oder Bakterien eingebracht ist. Oder wie ein aufklappbarer iPod im Hosentaschenformat, der die Anzahl der Partikel im Raum angibt. Als Ausgabebildschirm kann alles dienen, was ein Display hat – sei es die Smartwatch, das Smartphone oder ein PC.


Noch viel mehr möglich

Die Möglichkeiten dieser auf Quantenphysik basierenden Chiptechnologie mobilisieren viele Träume. Die Technologie hat das Potential, nicht nur die Mikroskopie neu zu erfinden. Weiter in die Zukunft gedacht, könnten die SMILEs als neuartige Lichtquellen in biomedizinischen Bildgebungs- und Sensoranwendungen dienen. Konkret könnten Neurowissenschaftler optische Signale der µLED-Arrays in elektrische Signale in der Zelle umsetzen, um auf diese Weise ganze Netzwerke aus Nervenzellen mit komplexen Signalformen anzusprechen. Noch weiter gedacht, könnten die Lichtfelder aus kleinsten LED durch ihre Fähigkeit, einzelne Ionen optisch anzusteuern, sogar den Weg zum Quantencomputer ebnen.