Die Reizübertragung mittels Licht könnte die Qualität von Hörimplantaten revolutionieren – und vielen hörgeschädigten Menschen zu neuer Lebensqualität verhelfen.

Kann man Licht hören? Ja, man kann. Denn mit Licht lassen sich sehr gezielt die Nervenzellen in der Hörschnecke (Cochlea) stimulieren. Genau dies nutzt die Forschergruppe um Dr. Ulrich Schwarz, Professor für Experimentelle Sensorik und Optoelektronik an der TU Chemnitz, um stark hörgeschädigten oder gehörlosen Menschen zu ermöglichen, was für die meisten Menschen selbstverständlich ist: klares Verstehen, Unterhaltung in einer Gruppe und Musikgenuss.


Die Erforschung der Zwischentöne

„Ein klassisches Klavierkonzert klingt in etwa, als ob es mit Fausthandschuh oder gar dem Unterarm gespielt werden würde.“ So beschreibt Dr. Tobias Moser das Klangerlebnis mit herkömmlichen Implantaten. Moser, Professor an der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde der Universität Göttingen, will dies ändern und auch Zwischentöne erschließen.

Aktuelle Hörprothesen funktionieren durch elektrische Reizübertragung. Sie übersetzen Schall in Stromimpulse. Diese sogenannten Cochlea-Implantate ermöglichen weltweit rund 700.000 Menschen rudimentäres Hören und Sprachverstehen. Stimmhöhen und Modulation sind dabei jedoch nicht unterscheidbar, bei Hintergrundgeräuschen wird das Verstehen schwierig. Denn elektrische Reize werden zwar direkt an die Hörnerven geleitet – kommen dort aber sehr undifferenziert an.


Licht statt Strom

„Elektrische Reizübertragung hat eine schlechte Tonhöhenauflösung. Es werden parallel sehr viele Zellen gleichzeitig angeregt, die eigentlich für verschiedene Frequenzen zuständig sind“, erklärt Ulrich Schwarz die physikalischen Grenzen der aktuellen Technologie. Weder eine räumlich selektive noch eine zellspezifische Stimulation der Nervenzellen ist so möglich.

„Im Gegensatz dazu können wir Licht bündeln und damit den Hörnerv gezielt anregen. Hundert oder mehr Frequenzkanäle sind so möglich – und damit Musikgenuss in all seinen Facetten“, sagt Schwarz. Voraussetzung: eine Kette von einzeln ansteuerbaren Lichtquellen, um so entlang der Hörschnecke unterschiedliche Bereiche selektiv anzuregen. Jede Stelle entspricht dabei einer anderen Tonhöhe.


Lichterkette in Mäuseohrgröße

Doch so klar die physikalischen Vorteile der optischen Reizübertragung, so herausfordernd sind die technischen Anforderungen. Auf der Suche nach einer entsprechenden Lichtquelle traf Professor Moser, weltweit führend in der Erforschung der Physiologie des Innenohrs und führender Optogenetiker mit Spezialgebiet Cochlea-Implantate, auf Professor Schwarz. Schwarz forschte bereits seit 2001 mit OSRAM Opto Semiconductors intensiv zu Leuchtdioden und Laserdioden. Die gemeinsamen Projekte zur Dünnfilmtechnologie und Miniaturisierung von LEDs waren allerdings auf Anwendungen wie Autoscheinwerfer, Fernseher oder miniaturisierte Displays ausgerichtet.

Auf dem gemeinsamen Technologiepfad zu miniaturisierten Hochleistungs-LEDs aufbauend, spezialisierte sich Schwarz auf noch kleinere und vor allem implantierbare Lösungen.

Denn um sie in großer Anzahl in die Hörschnecke einzubringen, waren alle verfügbaren LEDs noch viel zu groß und zu starr. Mikro-LEDs mussten entwickelt und mit einem flexiblen Substrat verheiratet werden.

 


„Für die Anwendung im Ohr müssen sie extrem klein, biegsam und körperverträglich sein“, erläutert Schwarz. „Nur von winzigen Knopfzellen mit Strom versorgt, müssen sie zudem sehr energieeffizient arbeiten. Und es braucht sehr schnelle Kanäle, um etwa bei der räumlichen Ortung von Schallereignissen auf Millisekunden Laufzeitunterschiede reagieren zu können“. Das ist Neuland in der Halbleiterentwicklung.

 

Optogenetischer Lichtschalter

Der erste Meilenstein wurde 2014 erreicht. Winzige, blaue Dünnfilm-LEDs wurden in Polymere integriert und in Mäuseohren eingesetzt.


 

Doch damit diese Lösung auch tatsächlich das Hören anregt, braucht es einen „Lichtschalter“. Hier ist nun das Forschungsfeld der Optogenetik gefragt, denn von Natur aus sind Nervenzellen nicht lichtsensitiv. Um sie mit Licht anregen zu können, müssen sie verändert werden. Mithilfe lichtempfindlicher Proteine, die in die Hörnervenzellen eingebracht werden, können sie lichtempfindlich gemacht werden und bei Stimulation Nervenimpulse aussenden.


Forschungsmeilensteine erreicht

In beiden Forschungsfeldern, biomedizinisch wie auch technologisch, hat das Projekt enorme Fortschritte erzielt. Den Nachweis der Stimulation mit Licht im Innenohr konnte Moser bereits 2008 in Göttingen erbringen. Jetzt hat seine Forschungsgruppe nachgewiesen, dass auch die gezielte örtliche Anregung von Nervenzellen im Ohr durch Licht möglich ist. Die hohe Frequenzauflösung bei gleichzeitiger hoher zeitlicher Präzision funktioniert.

„Hinter uns liegt viel intensive Forschungsarbeit. Jetzt feilen wir an der technologischen Umsetzung des Implantats. Der nächste Meilenstein ist das Implantat für klinische Studien“, sagt Schwarz.

Da die Implantate oft bereits ein Jahr nach der Geburt eingebracht werden, müssen sie ein Leben lang im Körper funktionieren, ähnlich wie ein Herzschrittmacher. Dafür arbeitet die Forschergruppe an der hermetisch dichten Verkapselung der Lichtquellen und der Reduzierung der Anzahl unterschiedlicher Materialien im Bereich des Innenohrs. Auch setzt man auf rotes statt blaues Licht, da dieses die Zellen besser stimuliert.

Um den enormen Entwicklungsaufwand zu stemmen, gründete die Forschungsgruppe um Moser und Schwarz 2019 das Start-up OptoGenTech. Ziel ist die Entwicklung, Produktion und Vermarktung von optogenetischen Mehrkanalstimulatoren. „Analog zur flexiblen Elektronik benötigen wir eine flexible Optoelektronik für medizinische Bauelemente“, meint Ulrich Schwarz. Dann könnten halbleiterbasierte Cochlea-Implantate Wirklichkeit werden und damit das Ziel von Moser und Schwarz in greifbare Nähe rücken: durch Licht Menschen den Musikgenuss und die aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in all seinen Schattierungen zu ermöglichen.

 


Der OSRAM Podcast - Das Photonstudio
Episode 8 - Kann man Licht hören? Mit Ulrich T. Schwarz

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