Der Eurovision Song Contest setzt jährlich Maßstäbe in der Eventbeleuchtung. Ein Gespräch mit dem Mann, der das in diesem Jahr tun will.
„Lissabon hat ein besonderes Licht, eine helle Wärme“, sagt Jerry Appelt. Der Mann muss es wissen. Der renommierte Lichtdesigner sorgt seit über 20 Jahren für perfektes Licht auf den Bühnen der Welt. Aktuell für den Eurovision Song Contest (ESC), der heuer in der portugiesischen Metropole ausgetragen wird.
Appelt ist überzeugt, von dem bevorzugten Klima der Stadt am Tejo profitieren auch deren Einwohner. Die Gelassenheit der Portugiesen scheint auch auf den Deutschen abzustrahlen. Mit Schiebermütze und schwarzer Sonnenbrille sitzt er entspannt unter den Sonnenschirmen des Café Ágora, direkt gegenüber der Altice Arena, dem Austragungsort des ESC. Wir haben uns dort zum Frühstück verabredet.
Später nimmt uns Appelt mit zu den Proben in die Arena, wo sich sein Team im oberen Rang vor unzähligen Mischpulten und Computermonitoren eingerichtet hat. Unten herrscht eifrige Betriebsamkeit. Gerade werden die Sofas ausgepackt, auf denen in zwei Wochen die Delegationen der teilnehmenden Länder sitzen werden. Appelts Aufmerksamkeit richtet sich indes auf die Bühne. Dort findet mit portugiesischen Schauspielern der Probelauf des russischen Beitrags statt. Der Song dröhnt durch die Arena. Scheinwerfer flammen auf, Lichtkegel bewegen sich über die Bühne, wechseln die Farben. Über sein Headset kommentiert Appelt mit ruhiger Stimme die Lichtshow. Mitunter hebt er die Arme wie ein Dirigent und erteilt damit Anweisungen, die sein Team routiniert umsetzt.
Die Klaviatur der neuen Möglichkeiten
„Eine gewisse Routine ist dabei“, sagt Appelt, der den ESC bereits zum vierten Mal beleuchtet. Dennoch sei der ESC noch immer etwas ganz Besonderes und stelle in jedem Jahr neue Herausforderungen. „Im Gegensatz zu den Vorjahren arbeiten wir ohne große mediale Flächen. Wir konzentrieren uns wieder stark auf den Künstler und die Aktion auf der Bühne.“ Dafür hat sein Team ein dreidimensionales Setup mit einer massiven Rückwand aus 350 Scheinwerfern entworfen. „Das ist ein Ausrufezeichen! Wir haben damit in der Tiefe viele Spielmöglichkeiten, um unterschiedliche Dinge zu inszenieren.“
Abwechslung sei bei einer Show mit 43 Einzelbeiträgen ein absolutes Muss. „Wir haben hier die komplette Bandbreite: von sehr zurückgenommenen Lichtshows wie dem vom Fado inspirierten Beitrag der Portugiesen bis zu einer Art Speed-Metal-Auftritt der Ungarn, die von uns pyrotechnisch weggeschossen werden.“ Er versuche dabei immer auch Neues auszuprobieren. Daher greife er gerne auf Neuentwicklungen der Hersteller zurück. Darunter viele Produkte der OSRAM-Töchter Claypaky und ADB. „Die Sharpys waren in den letzten Jahren für mich das prägende Stilmittel. Wir nutzen sie immer noch. Unser aktuelles Arbeitspferd sind jedoch die Scenius Unicos. Aber auch Neuentwicklungen wie die LED-Scheinwerfer Axcor Profile 900 haben wir im Programm.“
Der Einzug der LED ist die derzeit wohl prägendste Entwicklung in der Eventbeleuchtung. Appelt sieht diese mit gemischten Gefühlen: „In vielen Bereichen kann LED-Licht bereits problemlos Entladungslampen ersetzen. Und ich freue mich, dass ich dadurch deutlich weniger Energie verbrauche als noch vor drei oder vier Jahren.“ Als gestalterisches Mittel möchte er die Halogenlampen aufgrund ihres besonderen Dimmverhaltens und der schnellen Ansprechzeiten aber noch nicht missen.
Licht und Lautstärke
Wichtiger sind ihm Entwicklungen in Bezug auf die Lautstärke. „Helle Lampen haben Lüfter, und die machen Geräusche. Das ist nicht zu unterschätzen.“ Und auch in puncto Größe und Kompaktheit der Scheinwerfer sieht er trotz großer Fortschritte in den letzten Jahren noch Potenzial.
Die Digitalisierung des Arbeitsumfelds habe seine Tätigkeit grundlegend verändert. „Über IP-Adressen etwa haben wir vor 15 Jahren noch nicht nachgedacht. Mittlerweile haben wir komplett ausgelastete Netzwerke. Diese so ausfallsicher zu planen, dass sie vor 200 Millionen Zuschauern zur Aufführung gebracht werden können, ist eine Herausforderung.“ Gleichzeitig schätzt er die neuen virtuellen Möglichkeiten: „Vor 20 Jahren gab es einen Lichtplan als Telefax, und das war es. Alles musste von Hand eingerichtet werden. Heute kann alles im virtuellen Raum in Echtzeit vorprogrammiert werden.“
Und doch sehnt er sich manchmal in alte, ruhigere Zeiten zurück. „Früher standen wir bei einer Beleuchtungsprobe auch einmal zwei Stunden auf der Bühne und haben über den passenden Blauton räsoniert. Die Taktung ist heute viel schneller.“ Auch die Vielzahl an Produkten auf dem Markt habe ihre Kehrseite. Man könne sich da leicht verlieren. „Wir haben allein beim ESC 22 verschiedene Scheinwerfertypen. Wobei jeder seine spezielle Aufgabe und damit seine Berechtigung hat.“ Der Scheinwerfer der Zukunft vereine für ihn dagegen möglichst viele Eigenschaften. Ein Schritt in diese Richtung weist der jüngst von Claypaky vorgestellte Follow Spot ZAC-EYE. Mit 3D-Sensoren und künstlicher Intelligenz ausgestattet, kann er Personen auf der Bühne automatisch folgen. „Ich freue mich über diese Entwicklung. Je mehr sich – prozesssicher – automatisieren lässt, desto einfacher macht es uns das Leben.“
Puffern mit Büfett-Licht
Auf der Bühne in der Arena gibt es indessen ein Problem. Der eingesendete Designvorschlag einer Delegation stimmt zeitlich nicht mit der Länge des Songs überein. Doch Jerry Appelt bleibt gelassen. Ob ihn denn gar nichts aus der Ruhe bringe? „Zum Leidwesen meiner Frau rege ich mich ständig über schlecht beleuchtete Restaurants auf. Wenn der Obstsalat aussieht wie etwas, das man nicht essen möchte. Was übrigens an Büfetts ein alter Trick ist: Teile grün anleuchten, damit genug übrig bleibt. Bei einem grün angeleuchteten Lachs können Sie sicher sein, dass den keiner nimmt.“ Das sei nebenbei auch ein probates Mittel, um kapriziöse Künstler im Zaum zu halten. „Für unsere Arbeit mit den Delegationen haben wir folgenden Satz im Repertoire: Wenn das so weitergeht, gibt es Hellgrün von vorne – und Ruhe ist.“